Freitag, 6. März 2015

Déjà-vu


Luke rennt als würde es um sein nacktes Leben gehen. Vielleicht denkt er das sogar in diesem Moment. All seine Kräfte setzt er ein, damit er seinen kleinen Vorsprung beibehalten kann. Aber sein Verfolger ist verdammt schnell. Auf mich wirkt es, als liefe Luke vollkommen kopflos Richtung Straße. Kann er überhaupt noch klar denken? Der andere Hund ist ihm dicht auf den Fersen und lässt vorerst auch nicht von Luke ab. 

Ich selbst hetze im schnellstmöglichen Tempo, aber mit weitem Abstand, ebenfalls die Allee entlang. Hinter mir höre ich das Schnaufen der anderem Hundebesitzerin. "Es tut mir so leid, wir haben Sie nicht gesehen", ächzt sie. Meine Augen sind auf meinen Hund gerichtet. Mein Rufen hört er nicht. Inzwischen ist er an der Straße angekommen. Mir stockt der Atem. Jetzt wird es richtig gefährlich, denn diese Straße ist normalerweise sehr verkehrsreich. An diesem Abend sind es nur wenige Autos, die unterwegs sind, aber aufgrund der späten Abendstunde hält sich sicher keiner mehr ans Tempolimit. Ein Wagen zum falschen Zeitpunkt.........., ich mag überhaupt nicht daran denken. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Der Verfolgerhund hat inzwischen abgebremst und ist an der Straße stehen geblieben. Luke dagegen ist spurlos verschwunden. Wahrscheinlich befindet er sich nun auf der Straße oder hat sie sogar schon überquert. Das Schnaufen neben mir lässt nach. Die Dame ruft ihren Hund heran, der jetzt auf uns zugeschossen kommt und mich auch noch anspringen will.
"Ja, wo ist denn jetzt Ihr Hund?" flötet es hinter mir. Das wüsste ich jetzt auch sehr gerne. Frage gestellt, Hund angeleint, weg ist sie. Ich bleibe mit meinem Problem allein zurück. Es brodelt in mir, aber meinen Ärger kann ich nur herunterschlucken, denn meine Priortäten liegen jetzt woanders. Ich muss Luke finden, bevor etwas passiert.

An der Straße erhoffe ich mir einen besseren Blick über die Umgebung. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt ein Wagen, an ihm lehnt ein Mann in Borussenjacke und zeigt Richtung Heimatstraße: " Ihr Hund ist gerade dort abgebogen".  Es ist also noch eine Straßenüberquerung, die Luke vom zu Hause trennt. Wird er dort warten oder panisch weiterlaufen? Ich hetze weiter, recke meinen Hals, damit ich über die Schulmauer den Eingang unseres Hauses sehen kann. Leider ist die Straße vollgeparkt, da kann ich mich abmühen wie ich will, mir bleibt der erlösende Blick noch verborgen. Erst als ich atemlos in die heimatliche Straße abbiege, kann ich mich an Lukes Anblick erfreuen. Er steht vor unserem Haus und wartet. 
Unverletzt! Er sieht noch nicht mal sonderlich gestresst aus.

Voller Erleichterung jage ich über die Straße und werde fast Opfer einer Radfahrerin. Das hätte uns jetzt noch gefehlt. Luke freut sich wie Bolle mich zu sehen. Ach, wenn er wüsste, wie sehr ich mich erst freue. Schnell den Puschelhund an die Leine, und dann in die Sicherheit des eigenen Wohnzimmers. Ich lasse mich mit immer noch wild klopfendem Herzen auf die Couch fallen.

Manu ist direkt neben mir. Er drückt sich eng an meine Beine und legt seinen Kopf auf meinen Oberschenkel. Sanfte Augen schauen mich wissend an. Alles wird gut! Dieser Hund hat einen übernatürlichen Sensor für Menschen, die sich gerade nicht besonders gut fühlen. Wenn man Trost braucht, dann kann man zu 100% auf Manu zählen. Das ist einfach unglaublich und so schön. Luke dagegen hat sich hechelnd auf den Boden gelegt. Er braucht jetzt dringend Erholung und Ruhe.

Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass Luke und ich erst vor 20 Minuten das Haus für einen kurzen Abendspaziergang verlassen haben. Inzwischen ist die Wunde an seinem Bein fast komplett verheilt, sodass er ohne Verband unterwegs ist. Unsere Spaziergänge fallen immer noch relativ kräfteschonend aus, weswegen ich mich für eine Runde um die Hundewiese entscheide. Es ist nicht mein liebster Ort, aber um diese Uhrzeit ist es dort normalerweise schon ruhig, und man ist meistens alleine unterwegs. Die Strecke ist für Luke von der Länge her perfekt, und sie bietet natürlich ein interessantes Geruchserlebnis. Obwohl Luke mit anderen Hunden sehr unkompliziert ist und sie in der Regel einfach nicht beachtet, checke ich die Gegend immer akribisch ab. So fällt mir schon auf dem Weg Richtung Wiese (man muss erst ein größeres Stück eine Allee entlang laufen bis man die Hundewiese erreicht) eine Hundegruppe auf, die noch recht weit von uns entfernt ist. Die rennenden und tobenden Hunde erkenne ich in der Dunkelheit nur an ihren Leuchtis. Luke, der  schon ohne Leine unterwegs ist, bleibt immer in meiner direkten Nähe. So entscheide ich mich an dieser Stelle zu warten, sodass sich die Hundegruppe von unserem geplanten Weg entfernen wird. Wir werden dann nach links abbiegen, sodass keine Begegnung stattfinden kann. 

Vorerst müssen wir uns in Geduld üben, denn die Hunde spielen und toben, die Menschen plaudern, und so kommt diese Gruppe nur langsam voran. Immer wieder bleiben sie für kurze Zeit stehen. Das ist typisch für diese Gruppe, die ich um diese Uhrzeit hier nun wirklich nicht mehr erwartet hätte. Endlich hat sie sich weit genug von uns entfernt. Luke und ich können abbiegen. Vorsichtshalber behalte ich die Hundegruppe im Auge. Man weiß ja nie. Tatsächlich fährt plötzlich ein Ruck durch die Gruppe. Mist, trotz des großen Abstands sind die Hunde doch noch auf uns aufmerksam geworden. Leider nur die Hunde, denn bevor eine Reaktion der Menschen kommt, stehen sie schon fast vor uns. Luke anleinen oder besser nicht? Dummerweise habe ich zu lange gezögert. Da werde ich mir später noch große Vorwürfe machen. Als ich mich nämlich dann doch fürs Anleinen entscheide, finde ich in Lukes langem Haar nicht sofort den Ring und sehe im selben Moment  nur noch die imaginäre Staubwolke hinter meinem Hund, der voller Angst die Allee entlang düst. Hinter ihm eine ganze Horde Hunde. Als die Rufe der Menschen eindringlicher werden, bleiben die meisten stehen. Nur der eine nicht, der bleibt dicht hinter ihm.

So sieht also ein  Déjà-vu aus:  Gleiche Stelle, gleiche Fluchtstrecke
Wieder sind wir mit dem Schrecken davongekommen. Noch mal möchten wir unser Glück nicht herausfordern müssen. Nach der ersten Wut auf die anderen Hundebesitzer, ist es gerade dieser Gedanke, der in meinem Kopf Kreise zieht. Wir haben Glück gehabt, und, ein weiterer Gedanke nimmt immer mehr Form an, die Schuld lag in erster Linie bei mir. Ich habe den Fehler gemacht, indem ich Luke nicht schon bei erster Sicht dieser Gruppe, auch auf Entfernung, angeleint habe. 
Eine Erkenntnis, die unangenehm ist. Viel lieber würde ich über die anderen Hundebesitzer zetern, ihnen die Schuld zuweisen, aber würde mir das wirklich etwas bringen?
Natürlich hätte ich mich im Pechfall bei meinem Gewissen herausreden können, dass Luke so noch nie auf andere Hunde reagiert hat, aber welchen Trost hätte mir das bei einem an- oder gar überfahrenen Hunde gebracht? Gar keinen, denn ich trage die Verantwortung für das Leben meiner Hunde und muss dementsprechend vorausschauen. Die Hundegruppe war mir bekannt. Ich habe gewusst, dass die Menschen oft so sehr im Gespräch vertieft sind, dass sie ihren Hunden nicht die entsprechende Aufmerksamkeit zukommen lassen. Somit beiße ich in den sauren Apfel und verfasse diesen wenig schmeichelhaften Text, damit er sich für ewig in mein Gedächnis einbrennen mag.
Nun sind wir also um eine böse Erfahrung reicher, die aber sicher einen großen Einfluss auf meine Denkweise haben wird. 
Ich kann mich nicht immer auf mein Glück verlassen. Es zeigt mir sicher nicht noch einmal den mahnenden Finger. Anleinen auf Weitsicht steht jetzt auf dem Programm. Damit kann man auch gut leben, oder?


11 Kommentare:

  1. Oh man, da kann man wieder nur den Kopf schütteln. Scheiß Situation, da wäre mir auch schlecht gewesen vor Angst. Manchmal leine ich Linda in solchen Situationen an und manchmal auch nicht. Bei mehreren Hunden mit Linda an der Leine hätte ich wahrscheinlich nicht gewagt. Leider weiß man ja nie, wie es letztendlich ausgeht. Es heißt ja nicht umsonst so schön, dass man hinterher immer schlauer ist.

    Und Gott sei Dank haben Hunde nun mal mehr Glück als Verstand...

    LG Andrea und Linda

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich denke, dass ich in der Situation die gleichen Überlegungen hatte, die du hier ansprichst, und daraus ist mein Zögern beim Anleinen entstanden. Wodurch stärke ich Lukes Position, wenn 4-5 größere Hunde als Gruppe plötzlich vor ihm auftauchen. Die Leine schien mir zuerst auch hinderlich, weil er sich ja dann nicht so drehen und wenden kann, wie er möchte. Anderseits hätte die Leine es mir ermöglicht mich vor Luke zu stellen, sodass er einen gewissen Schutz vor den anderen Hunden gehabt hätte, tja, und leider hätte sie auch seine kopflose Flucht verhindert. Inzwischen weiß ich dann, was die richtige Entscheidung gewesen wäre.

      Löschen
  2. Oh mein Gott, mir ist ein wahrer Schauer über den Rücken gelaufen, als ich deinen Beitrag gelesen habe. Ich bin aber auch extrem erleichtert, dass ihr unverletzt davon kamt, den Felsbrocken, der abgestürzt ist, müsstest du eigentlich auch gehört haben. Die Sache mit dem Anleinen ist gut und auch gar nicht soooo schlimm. Wir machen das eigentlich auch immer und wenn wir es doch mal vergessen, dann kriegt Frauchen mich mit einem Stöckchen, sobald sie das hoch hebt, bin ich sofort bei ihr und nur bei ihr. Allerdings hatten wir auch noch nie so eine Hatz und wollen das auch gar nicht erleben.

    Wuff-Wuff dein Chris

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh Chris, dass mit dem Stöckchen finde ich aber überaus praktisch. Das hätte ich bei Luke auch sehr gerne. Leider hat Luke, als er noch in der Türkei als Straßenhund lebte, keine guten Erfahrungen mit Stöckchen gemacht. Sobald wir eins in die Hand nehmen und womöglich dieses auch noch etwas heben, dann hat er ganz fruchtbare Angst und schreckt zurück, weil er nämlich denkt, wir wollen ihn damit schlagen oder dieses nach ihm werfen. So funktioniert diese Lösung bei uns leider nicht. Aber, und da hast du recht, das Anleinen ist gar nicht so schlimm, und das setzen wir jetzt eben noch ein bisschen früher ein.

      Löschen
    2. Oh, das ist natürlich doof, dass da der Stöckchentrick nicht klappt, kann ich verstehen. Spielt denn der Luke gerne mit etwas anderem? Kastanien? Tannenzapfen? Bällchen? Ich mag ja, wenn wir draußen sind, am liebsten die Dinge, die die Natur so her gibt, deshalb nimmt Frauchen selten ein Spieli mit. Aber mit irgendso etwas kriegt sie mich meistens. Ihr könntet es ja vielleicht mal versuchen, vorerst vielleicht an der Schleppleine? Dann hat Luke Bewegungsfreiheit, du hast aber die Kontrolle weiter über ihn.

      Wuff-Wuff dein Chris

      Löschen
    3. Leider nein, Luke liest draußen lieber ganz intensiv die "Tageszeitung" und interessiert sich sowieso wenig für Spielzeug egal welcher Art. Schleppleine wäre aber absolut ok.

      Löschen
  3. Bei Hundebegegnungen (egal ob der andere Hund angeleint ist oder nicht) bin ich besonders in diesem Gebiet immer sehr anleinfreudig und diszipliniert. Sagen wir mal, wir sind für alle Eventualitäten gerüstet, wenn der Hund nicht schon bekannt und genehm ist.
    Nur in diesem Fall habe ich mich mit der Entfernung verschätzt. Ich dachte, wir huschen förmlich hinter dem Rücken dieser Gruppe davon, was dann ja dummerweise nicht geklappt hat. Du hast recht, zum Glück dürfen wir aus diesem Fehler lernen und es in Zukunft besser machen.

    AntwortenLöschen
  4. Du solltest nicht grämen, sondern dankbar sein, dass alles gut gegangen ist. Mir ist schon beim Lesen übel gewesen.

    Viele liebe Grüße
    Sabine mit Socke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, diese Dankbarkeit spüre ich ganz deutlich, immer wenn ich mich an diese Geschichte erinnere. Da hat der Hundeschutzengel alles gegeben.

      Löschen
  5. Was für eine Schrecksituation! Zum Glück ist alles gut gegangen!

    Schlabbergrüße Bonjo

    AntwortenLöschen
  6. Ziemlich brenzlige Situation, kann man von Glück sagen, dass niemand unter die Räder gelommen ist.
    Liebe Grüße aus Terrierhausen

    AntwortenLöschen